Epistula 1, 7

Quinque dies tibi pollicitus me rure futurum,
Sextilem totum mendax desideror. Atqui,
si me uiuere uis sanum recteque ualentem,
quam mihi das aegro, dabis aegrotare timenti,
5 Maecenas, ueniam, dum ficus prima calorque
dissignatorem decorat lictoribus atris,
dum pueris omnis pater et matercula pallet.
Fünf Tage, versprach ich dir, würde ich auf dem Land bleiben,
und breche mein Wort, da ich den ganzen Sextilis erwartet werde. Aber,
wenn du willst dass ich gesund lebe und es mir richtig gut geht,
dann wirst du mir, wenn ich Angst habe, krank zu werden, die gleiche Nachsicht gewähren,
die du mir gewährst, wenn ich krank bin, Maecenas, während die Feige und die erste Hitze
den Leichenbestatter mit seinen schwarzen Liktoren schmücken,
während jeder Vater und jedes Mütterchen wegen ihrer Kinder erbleichen.

Officiosaque sedulitas et opella forensis
adducit febris et testamenta resignat.
10 Quodsi bruma niues Albanis inlinet agris,
ad mare descendet uates tuus et sibi parcet
contractusque leget; te, dulcis amice, reuiset
cum Zephyris, si concedes, et hirundine prima.
Der dienstbereite Eifer und die Dienstbarkeiten am Forum
bringen Fieber und entsiegeln die Testamente.
Wenn aber die Wintersonnwende den Schnee auf den Albanerländern verteilt,
dann wird dein Dichter zum Meer herabsteigen und sich schonen
und Verträge studieren; dich, lieber Freund, wird er wieder aufsuchen
mit dem Frühlingswind, wenn du es erlaubst, und der ersten Schwalbe.

Non quo more piris uesci Calaber iubet hospes
15 tu me fecisti locupletem. ‚Vescere, sodes.‘
‚Iam satis est.‘ ‚At tu, quantum uis, tolle.‘ ‚Benigne.‘
‚Non inuisa feres pueris munuscula paruis.‘
‚Tam teneor dono quam si dimittar onustus.‘
‚Vt libet; haec porcis hodie comedenda relinques.‘
Nicht nach der Art, wie der kalabrische Gastfreund befiehlt, von seinen Birnen zu essen,
hast du mich reich gemacht. „Iss, mein Freund.“
„Es reicht schon.“ „Aber nimm dir, soviel du willst.“ „Sehr freundlich.“
„Bestimmt möchtest du deinen kleinen Jungen noch kleine Geschenke mitbringen.“
„So sehr berührt mich das Geschenk, als wäre ich schwer beladen.“
„Wie du möchtest; du lässt es heute den Schweinen zum Fressen übrig.“

20 Prodigus et stultus donat quae spernit et odit;
haec seges ingratos tulit et feret omnibus annis.
Vir bonus et sapiens dignis ait esse paratus,
nec tamen ignorat quid distent aera lupinis;
dignum praestabo me etiam pro laude merentis.
25 Quodsi me noles usquam discedere, reddes
forte latus, nigros angusta fronte capillos,
reddes dulce loqui, reddes ridere decorum et
inter uina fugam Cinarae maerere proteruae.
Ein dummer Verschwender verschenkt, was er selbst verachtet und nicht mag;
diese Saat bringt aber nur Undankbarkeit hervor und wird das immer tun.
Ein guter und weiser Mann sagt, er sei bereit für die Würdigen
und weiß dennoch, was Geld von Spielgeld unterscheidet;
auch ich werde mich des Lobes eines Verdienstvollen würdig erweisen.
Wenn du aber nicht willst, dass ich irgendwo hin gehe, dann sollst du mir
eine gesunde Lunge geben, schwarze Haare auf niedriger Stirn,
schönes Reden, hübsches Lachen und
das Klagen über die Flucht der unterschämten Cinara beim Weintrinken.

Forte per angustam tenuis uolpecula rimam
30 repserat in cumeram frumenti, pastaque rursus
ire foras pleno tendebat corpore frustra;
cui mustela procul: ‚Si uis‘ ait ‚effugere istinc,
macra cauum repetes artum, quem macra subisti.‘
Hac ego si compellor imagine, cuncta resigno;
35 nec somnum plebis laudo satur altilium nec
otia diuitiis Arabum liberrima muto.
Ein kleiner schlanker Fuchs kroch einmal durch eine enge Ritze
in ein Getreidegefäß, und als er gefressen hatte und rückwärts wieder hinaus
gehen wollte, bemühte es sich mit seinem vollen Bauch vergeblich.
Ein Wiesel in der Nähe rief ihm zu: „Wenn du da rauskommen willst,
wirst du so schlank durch das Loch zurückkriechen, wie du hineingekrochen bist.“
Wenn ich dieses Bild auf mich beziehe, verzichte ich auf alles;
weder lobe ich vollgestopft mit Masttieren den Schlaf der einfachen Leute, noch
tausche ich meine Freizeit gegen die Schätze der Araber.

Saepe uerecundum laudasti rexque paterque
audisti coram nec uerbo parcius absens;
inspice si possum donata reponere laetus.
40 Haud male Telemachus, proles patientis Vlixei:
‚Non est aptus equis Ithace locus, ut neque planis
porrectus spatiis nec multae prodigus herbae;
Atride, magis apta tibi tua dona relinquam.‘
Oft hast du die Ehrlichkeit gelobt und als König und Vater
in deiner Gegenwart (mich dich nennen) gehört, und ich bin in deiner Abwesenheit nicht zurückhaltender;
prüfe, ob ich diese Geschenke frohgemuts zurückgeben kann.
Nicht schlecht hat Telemachus, der Sohn des geduldigen Odysseus, gesprochen:
„Ithaka ist kein angemessener Ort für Pferde, weil es sich weder
in weiten Ebenen dahinstreckt noch besonders viele Gräser hervorbringt;
Atride, es ist deinen Geschenken angemessener, dass ich sie bei dir zurücklasse.“

Paruum parua decent; mihi iam non regia Roma,
45 sed uacuum Tibur placet aut inbelle Tarentum.
Strenuus et fortis causisque Philippus agendis
clarus, ab officiis octauam circite horam
dum redit atque foro nimium distare Carinas
iam grandis natu queritur, conspexit, ut aiunt,
50 adrasum quendam uacua tonsoris in umbra
cultello proprios purgantem leniter unguis.
Kleinen Leuten ziemt sich Kleines; mir gefällt nicht die Königin Rom,
sondern das menschenleere Tibur oder das ruhige Tarent.
Der tapfere und rechtschaffene Philippus, berühmt wegen seiner Art der
Gerichtsverhandlung, ließ um die achte Stunde von seinen Pflichten ab
und während er zurückging und sich beschwerte, dass die Schiffe
zu weit weg seien vom Forum – wegen seines hohen Alters -, da soll er
jemand gesehen haben, der frisch frisiert im leeren, schattigen (Laden) des Frisörs
mit einem Messer gemütlich seine Fingernägel reinigte.

‚Demetri‘, (puer hic non laeue iussa Philippi
accipiebat) ‚abi, quaere et refer, unde domo, quis,
cuius fortunae, quo sit patre quoue patrono.‘
55 It, redit et narrat Volteium nomine Menam,
praeconem, tenui censu, sine crimine, notum
et properare loco et cessare, et quaerere et uti,
gaudentem paruisque sodalibus et lare certo
et ludis et post decisa negotia Campo.
„Demetrius“ (der war ein Diener, der die Befehle Philippus‘ flink
ausführte), „geh, frag ihn und eräzhl mir, aus welchem Haus er kommt, wer er ist,
wie reich er ist, von welchem Vater er abstamme und welchem Patron er unterstehe.“
Der ging, kam zurück und erzählte, der Mann heiße Volteius Mena,
er sei ein Versteigerer von geringem Einkommen, habe nichts angestellt, und es sei bekannt,
dass er im richtigen Moment sich anstrenge und ausruhe, beschaffe und genieße,
und er freue sich an kleinen Dingen, an seinem eigenen Haus,
an Spielen und nach vollendeter Arbeit am Marsfeld.

60 ‚Scitari libet ex ipso quodcumque refers; dic
ad cenam ueniat.‘ Non sane credere Mena,
mirari secum tacitus. Quid multa? ‚Benigne,‘
respondet. ‚Neget ille mihi?‘ ‚Negat improbus et te
neglegit aut horret.‘ Volteium mane Philippus
65 uilia uendentem tunicato scruta popello
occupat et saluere iubet prior; ille Philippo
excusare laborem et mercennaria uincla,
quod non mane domum uenisset, denique quod non
prouidisset eum. ‚Sic ignouisse putato
70 me tibi, si cenas hodie mecum.‘ ‚Vt libet.‘ ‚Ergo
post nonam uenies; nunc i, rem strenuus auge.‘
„Ich will von ihm selbst hören, was du erzählst; sag
ihm, dass er zum Essen kommen soll.“ Mena glaubt es nicht,
wundert sich im Stillen. Und weiter? „Zu freundlich“,
antwortet er. „Lehnt er meine Bitte ab?“ „Dieser Asoziale lehnt es ab;
der kennt dich nicht oder hat Angst vor dir.“ Philippus erwischt den Volteius
am Morgen, wie er billigen Mist an tunikatragenden Pöbel verkauft,
und begrüßt ihn als erster; jener entschuldigt sich bei Philippus
mit siener Arbeit und den Fesseln des Händlers,
dass er nicht am Morgen in sein Haus gekommen ist, und dass er ihn
schließlich nicht vorher gesehen habe. „Du sollst wissen, dass ich dir
das nachsehe, wenn du heute mit mir speist.“ „Wie es beliebt.“ „Also
wirst du nach der neunten Stunde kommen; jetzt geh, vermehre tüchtig dein Geld.“

Vt uentum ad cenam est, dicenda tacenda locutus
tandem dormitum dimittitur. Hic ubi saepe
occultum uisus decurrere piscis ad hamum,
75 mane cliens et iam certus conuiua, iubetur
rura suburbana indictis comes ire Latinis.
Impositus mannis aruum caelumque Sabinum
non cessat laudare. Videt ridetque Philippus,
et sibi dum requiem, dum risus undique quaerit,
80 dum septem donat sestertia, mutua septem
promittit, persuadet uti mercetur agellum.
Als er zum Essen gekommen ist, spricht er über Dinge die man sagt und über Dinge die man nicht sagt,
und schließlich wird es ihm erlaubt, schlafen zu gehen. Sobald er des Öfteren
gesehen wurde, wie er wie ein Fisch zum versteckten Haken gelaufen kam,
am Morgen als Klient und bald schon ein ständiger Gast, wird ihm befohlen
als Begleiter aufs Umland mitzukommen, als die Latinerfeste angekündigt werden.
Aufs Pferd gesetzt hört er nicht auf, sabinisches Land und Himmel
zu loben. Philippus sieht das und lacht
und während er sich Entspannung und einen Spaß sucht, wo möglich,
schenkt er ihm siebentausend Sesterze und verspricht ihm weitere
siebentausend, und überredet ihn, dass er ein kleines Landgut kauft.

Mercatur. Ne te longis ambagibus ultra
quam satis est morer, ex nitido fit rusticus atque
sulcos et uineta crepat mera, praeparat ulmos,
85 inmoritur studiis et amore senescit habendi.
Verum ubi oues furto, morbo periere capellae,
spem mentita seges, bos est enectus arando,
offensu damnis media de nocte caballum
arripit iratusque Philippi tendit ad aedis.
Das kauft er. Um dich nicht mit langen Exkursen über
Gebühr aufzuhalten: Aus dem gepflegten Mann wird ein Bauer und
er tönt über Pflüge und gute Weingärten, präpariert seine Ulmen,
hört nie zu arbeiten auf und altert vor Besitzgier.
Aber als seine Schafe durch Diebstahl, seine Zigen durch Krankheit verschwunden sind,
eine Fehlernte seine Hoffnungen enttäuscht, sein Rind vom Pflügen zu Tode gequält ist,
da schnappt er sich mitten in der Nacht aus Wut über den Verlust
ein Pferd und reitet zornig zu Philippus‘ Haus.

90 Quem simul aspexit scabrum intonsumque Philippus:
‚Durus‘ ait, ‚Voltei, nimis attentusque uideris
esse mihi.‘ ‚Pol, me miserum, patrone, uocares,
si uelles‘ inquit ‚uerum mihi ponere nomen.
Quod te per Genium dextramque deosque Penatis
95 obsecro et obtestor, uitae me redde priori.‘
Qui semel aspexit quantum dimissa petitis
praestent, mature redeat repetatque relicta.
Metiri se quemque suo modulo ad pede uerum est.
Sogleich entdeckt ihn der Philippus, schäbig und ungeschoren,
und sagt: „Volteius, du scheinst mir zu hart zu arbeiten und zu
schuften!“ „Ja wirklich, du müsstest mich einen Elenden nennen, Patron,
wenn du meinen wahren Namen sagen wolltest.
Ich flehe dich an und bitte dich, beim Schutzgeist, bei deiner
rechten Hand und bei den Göttern und den Penaten, gib mir mein altes Leben zurück.“
Wer einmal gesehen hat, wie sehr das Verlorene dem Erstrebten
überleben ist, der soll rechtzeitig zurückkehren und das, was er zurückließ, zurückholen.
Dass jeder sich mit seinem eigenen Maßstab und Fußmaß bemisst, ist das Wahre.

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