Carmen 22

In diesem Gedicht macht sich Catull über den Suffenus lustig, einen Dichter, der seiner Meinung nach zwar viel, aber furchtbar schlecht dichtet. So beschreibt er zunächst die Gewohnheiten des Suffenus, zu dichten und seine Gedichte in besonders schön gestalteten Büchern zu veröffentlichen. Zum Abschluss jedoch verfällt Catull plötzlich in Ernsthaftigkeit: im Grunde wohnt ja jedem Menschen ein kleiner Suffenus inne; jeder macht sich in irgendeiner Weise lächerlich. Aber die meisten Menschen erkennen Fehler nur an anderen Menschen, niemals aber an sich selbst.

1 Suffenus iste, Vare, quem probe nostri,
homo est venustus et dicax et urbanus,
idemque longe plurimos facit versus.
Dieser Suffenus, den du zur Genüge kennst, Varus,
ist ein witziger und schwatzhafter und mondäner Mensch,
und dieser produziert um Längen die meisten Verse.
4 Puto esse ego illi milia aut decem aut plura
perscripta, nec sic ut fit in palimpsesto
relata: cartae regiae, novi libri,
novi umbilici, lora rubra, membranae,
derecta plumbo et pumice omnia aequata.
Ich glaube, von ihm wurden zehntausend oder mehr
geschrieben, die wurden nicht, wie es gemacht wird, auf Recyclingpergament
erzählt: königliche Papyrusblätter, nagelneue Bücher,
neue Stäbchenbünde, rote Blattriemen,
die mit Blei gerichtet sind und alles mit Bimsstein geebnet.
9 Haec cum legas tu, bellus ille et urbanus
Suffenus unus caprimulgus aut fossor
rursus videtur: tantum abhorret ac mutat.
Wenn du diese Dinge liest, da scheint dieser niedliche und gebildete
Suffenus wiederum wie ein einzigartiger Ziegenmelker oder Bauerntrampel:
so schrecklich und wechselhaft ist er.
12 Hoc quid putemus esse? Qui modo scurra
aut si quid hac re scitius videbatur,
idem infaceto est infacetior rure,
simul poemata attigit, neque idem umquam
aeque est beatus ac poema cum scribit:
tum gaudet in se tamque se ipse miratur.
Was sollen wir darüber denken? Der, der bald wie ein Lebemann
oder, wenn es das gibt, noch gescheiter als das wirkte,
eben derselbe ist bäuerlicher als das bäuerliche Land
ab dem Moment, in dem er sich an Gedichte wagt, aber er ist nie
im selben Maße glücklich, wie wenn er Gedichte schreibt:
Dann freut er sich über sich und so staunt er selbst über sich.
18 Nimirum idem omnes fallimur, neque est quisquam
quem non in aliqua re videre Suffenum
possis. Suus cuique attributus est error;
sed non videmus manticae quod tergo est.
Wir werden alle freilich in derselben Sache getäuscht, und es gibt niemanden
den du nicht in irgendeinem Punkt als Suffenus betrachten
kannst. Jeder hat seinen eigenen Fehler;
aber wir sehen nicht, was für ein Säckchen wir selbst auf dem Rücken tragen.