Medea

Medea, eine mächtige Zauberin, ist die Tochter des Königs Aetes. Dieser Aetes besitzt das goldene Vlies, welches Jason, einer der Argonauten, beschaffen will. König Aetes stellt ihm einige Aufgaben, die für Jason den sicheren Tod bedeuten müssten – unter anderem muss er einen Drachen töten und weitere üble Aufgaben bestehen. Doch Medea verliebt sich unsterblich in den Fremden und hilft ihm durch ihre Zauberkunst und manchmal durch beispiellose Brutalität, die Aufgaben zu bestehen. Verfolgt von ihrem Vater tötet sie ihren Bruder Absyrtus, zerstückelt ihn und wirft ihn ins Meer; durch dieses „Ablenkungsmanöver“ können Jason und Medea dem Aetes entkommen. Sie flüchten nach Korinth, doch dort kommt alles anders: Jason fühlt sich vom göttlichen Schicksal gezwungen, die Tochter des dortigen Königs Creo, die naheliegenderweise Creusea (manchmal auch Glauke) heißt, zu heiraten, und muss Medea dafür sitzen lassen.

Jason müsste eigentlich am besten wissen, dass man Medea nicht verärgern sollte – schließlich ist sie eine mächtige Zauberin und eine brutale Mörderin. Dennoch wendet er sich von ihr ab, obwohl die beiden sogar Kinder miteinander haben. Medea ist entsprechend sauer über diese Abfuhr, die Jason ihr erteilt, und beginnt, Rachepläne gegen Jason und Creusea zu schmieden. An dieser Stelle setzt Senecas Tragödie ein. Medea befindet sich in der Fremde, Jason hat sich erst kürzlich Creusea zugewandt. Nun sinnt Medea auf Rache.

Medea Di coniugales tuque genialis tori,
Lucina, custos quaeque domituram freta
Tiphyn nouam frenare docuisti ratem,
et tu, profundi saeue dominator maris,
5 clarumque Titan diuidens orbi diem,
tacitisque praebens conscium sacris iubar
Hecate triformis, quosque iurauit mihi
deos Iason, quosque Medeae magis
fas est precari: noctis aeternae chaos,
10 auersa superis regna manesque impios
dominumque regni tristis et dominam fide
meliore raptam, uoce non fausta precor.
Götter der Ehe und du, Wächterin des Ehebetts,
Lucina, die du Tiphys gelehrt hast, das die Fluten
beherrschen werdende, neue Schiff zu lenken,
und du, wilder Beherrscher des tiefen Meeres,
und Titan, der du den hellen Tag für den Erdkreis einteilst,
und dreigestaltige Hekate, die du den schweigenden Heiligtümern
wissenden Glanz bereitest, und bei welchen Göttern mir
Jason noch schwor, zu welchen Medea göttlichen Rechts wegen
noch mehr beten muss: das Chaos der ewigen Nacht,
die den Göttern abgewandten Reiche und die düsteren Manen
und den Herrn des traurigen Reiches und die Herrin, die durch
größere Treue geraubt wurde, mit unglücklicher Stimme flehe ich.
nunc, nunc adeste sceleris ultrices deae,
crinem solutis squalidae serpentibus,
15 atram cruentis manibus amplexae facem,
adeste, thalamis horridae quondam meis
quales stetistis: coniugi letum nouae
letumque socero et regiae stirpi date.
Nun, nun steh mir bei, Göttin, die du Verbrechen rächst,
die du besudelt bist mit wallenden Schlangen anstelle von Haar,
die du die schwarze Fackel mit den blutigen Händen umfasst,
steh mir bei, wie du meinem Brautgemach einst
auch beigestanden hast: den Tod gebt der neuen Braut,
und dem Schwiegervater und der ganzen Königsfamilie.
Num peius aliquid? quod precer sponso malum?
20 uiuat; per urbes erret ignotas egens
exul pauens inuisus incerti laris,
iam notus hospes limen alienum expetat;
me coniugem opt(at)o, quoque non aliud queam
peius precari, liberos similes patri
similesque matri++parta iam, parta ultio est:
Gibt’s was Schlimmeres? Welches Übel wünsch ich dem Bräutigam?
Er soll leben, er soll durch fremde Städte irren und Armut leiden
im Exil und fürchten soll er sich und unsichtbar und ohne sichere Heimat,
bald soll er als bekannter Gastfreund an fremden Türen betteln;
er soll sich mich zur Frau wünschen, auch – ich kann nichts
Schlimmeres erbitten – soll er sich dem Vater ähnliche Kinder
und der Mutter ähnliche wünschen; geboren schon, geboren ist die Rache:
peperi. Querelas uerbaque in cassum sero?
non ibo in hostes? manibus excutiam faces
caeloque lucem++spectat hoc nostri sator
Sol generis, et spectatur, et curru insidens
30 per solita puri spatia decurrit poli?
Ich habe sie geboren. Knüpfe ich vergeblich Klagen und Worte?
Werde ich nicht dem Feind entgegengehen? Reiße ich mit den Händen
die Fackeln und das Licht vom Himmel? Der Vater unseres
Geschlechts, der Sol, erblickt’s und wird selbst gesehn, und er sitzt
im Wagen und läuft durch den gewohnten Raum des reinen Himmels?
non redit in ortus et remetitur diem?
da, da per auras curribus patriis uehi,
committe habenas, genitor, et flagrantibus
ignifera loris tribue moderari iuga:
Kehrt er nicht zurück zum Aufgang und wiederholt den Tageslauf?
Gestatte es, durch die Lüfte mit dem väterlichen Wagen zu fahren,
gestehe mir die Flügel zu, Vater, und gestatte, mit flammenlodernder
Peitsche das flammendene Pferdegespann zu lenken:
35 gemino Corinthos litori opponens moras
cremata flammis maria committat duo.
hoc restat unum, pronubam thalamo feram
ut ipsa pinum postque sacrificas preces
caedam dicatis uictimas altaribus.
Das mit zwillingshaftem Strand seinem Aufenthalt entgegenstehende
Korinth möge, verbrannt von den Flammen, die zwei Meere vereinigen!
Dies eine bleibt, dass ich den Hochzeitskranz selbst zum
Brautgemach bringe und nach den Opferbitten
die Opfertiere an den geweihten Altären töte.
40 Per uiscera ipsa quaere supplicio uiam,
si uiuis, anime, si quid antiqui tibi
remanet uigoris; pelle femineos metus
et inhospitalem Caucasum mente indue.
In meinem Herzen suche einen Weg zur Rache,
wenn du lebst, du meine Seele, wenn etwas von der früheren
Tatkraft dir noch geblieben ist; vertreibe die weiberhafte Furcht
und nimm die unwirtliche Gebirgskette des Kaukasus im Geiste an.
quodcumque uidit Phasis aut Pontus nefas,
45 uidebit Isthmos. effera ignota horrida,
tremenda caelo pariter ac terris mala
mens intus agitat: uulnera et caedem et uagum
funus per artus++leuia memoraui nimis:
haec uirgo feci; grauior exurgat dolor:
Was auch immer Phasis oder Pontus an Unrecht sahen,
wird dann der Isthmos sehen. Wilde, niedere, schreckliche Übel,
die den Himmel erbeben lassen und die Erde genauso,
plant mein Kopf innerlich: Verwundung und Gemetzel und unstetes
Grabmahl durch meine Glieder – als Leichtigkeit beschrieb ich es zu sehr:
als Jungfrau tat ich dies; größerer Schmerz entbrenne in mir:
50 maiora iam me scelera post partus decent.
accingere ira teque in exitium para
furore toto. paria narrentur tua
repudia thalamis: quo uirum linques modo?
Größere Verbrechen ziemen sich für mich nun, nach den Geburten.
Umgürte dich mit Wut und bereite dich zum Untergang vor
mit allem Zorn. Bring hervor, wie deine Verbannung aus dem
Brautgemach erzählt wird: auf welche Weise verlässt du diesen Mann?
hoc quo secuta es. rumpe iam segnes moras:
55 quae scelere parta est, scelere linquenda est domus.
Auf jene, wie du ihm gefolgt bist. Beende schon das träge Abwarten:
wie du das Haus durch Verbrechen erworben hast, so verlasse es auch.

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Elegie I, 3

Qualis Thesea iacuit cedente carina
languida desertis Cnosia litoribus;
qualis et accubuit primo Cepheia somno
libera iam duris cotibus Andromede;
Wie die Knossische schlaff am verlassenen Strand lag
während Theseus bereits auf dem Schiff davonfuhr;
wie auch äthiopische Andromede im ersten Schlaf
schon befreit auf harten Steinen dalag;

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Satyricon III, 61-63 (Der Werwolf)

Buch III, 61-63: Der Werwolf

[LXI] Postquam ergo omnes bonam mentem bonamque valitudinem sibi optarunt, Trimalchio ad Nicerotem respexit et: „Solebas, inquit, suavius esse in convictu; nescio quid nunc taces nec muttis. Oro te, sic felicem me videas, narra illud quod tibi usu venit.“ Niceros delectatus affabilitate amici: „Omne me, inquit, lucrum transeat, nisi iam dudum gaudimonio dissilio, quod te talem video. Itaque hilaria mera sint, etsi timeo istos scolasticos ne me rideant. Viderint: narrabo tamen, quid enim mihi aufert, qui ridet? satius est rideri quam derideri.“ Haec ubi dicta dedit, talem fabulam exorsus est:
Nachdem sich also alle einen guten Geist und eine gute Gesundheit gewünscht hatten, blickte Trimalchio zu Niceros zurück und sagte: „Du warst für gewöhnlich beim Gelage vergnüglicher; ich weiß nicht, warum du jetzt schweigst und dich nicht regst. Ich bitte dich, damit du mich erfreust, erzähl irgendetwas, was du erlebt hast.“ Niceros freute sich über die Neugierde seines Freundes, und sprach: „Jeder gute Handel soll an mir vorüberziehen, wenn ich nicht schon lange vor Freude platze, weil ich dich so fröhlich sehe. Deshalb soll reine Heiterkeit herrschen, obwohl ich fürchte, dass diese Scholasten da über mich lachen werden. Sollen sie nur: ich werde trotzdem erzählen, was sorgt mich schon einer, der lacht? Es ist besser, die anderen lachen über mich, als wenn sie mich auslachen.“ Nachdem er das gesagt hatte, besann er mit der folgenden Geschichte:

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Epigramm III, 44

Occurrit tibi nemo quod libenter
quod, quacumque uenis, fuga est et ingens
circa te, Ligurine, solitudo,
quid sit, scire cupis? Nimis poeta es.
Dass dich niemand gern trifft,
und dass, wohin auch immer du gehst, Flucht und
große Einsamkeit dich umgeben, Ligurinus,
willst du wissen, warum das so ist? Du bist zusehr ein Dichter.

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Epigramm I, 35

Versus scribere me parum seueros
nec quos praelegat in schola magister,
Corneli, quereris: sed hi libelli,
tamquam coniugibus suis mariti,
5 non possunt sine mentula placere.
Darum, dass ich nicht gerade ernste Verse schreibe
und solche, welche der Lehrer in der Schule nicht vorträgt,
Cornelius, darüber beschwerst du dich: aber jene Bücher,
so wie die Ehemänner ihren Ehefrauen,
können ohne Schwänzchen nicht gefallen.

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Ab urbe condita I, 9-13 (Raub der Sabinerinnen)

Buch I, 9

[9] Iam res Romana adeo erat ualida ut cuilibet finitimarum civitatum bello par esset; sed penuria mulierum hominis aetatem duratura magnitudo erat, quippe quibus nec domi spes prolis nec cum finitimis conubia essent. Tum ex consilio patrum Romulus legatos circa vicinas gentes misit qui societatem conubiumque novo populo peterent: urbes quoque, ut cetera, ex infimo nasci; dein, quas sua virtus ac di iuvent, magnas opes sibi magnumque nomen facere; satis scire, origini Romanae et deos adfuisse et non defuturam virtutem; proinde ne gravarentur homines cum hominibus sanguinem ac genus miscere. Nusquam benigne legatio audita est: adeo simul spernebant, simul tantam in medio crescentem molem sibi ac posteris suis metuebant. Ac plerisque rogitantibus dimissi ecquod feminis quoque asylum aperuissent; id enim demum compar conubium fore. Aegre id Romana pubes passa et haud dubie ad vim spectare res coepit. Cui tempus locumque aptum ut daret Romulus aegritudinem animi dissimulans ludos ex industria parat Neptuno equestri sollemnes; Consualia vocat. Indici deinde finitimis spectaculum iubet; quantoque apparatu tum sciebant aut poterant, concelebrant ut rem claram exspectatamque facerent.
Der römische Staat war schon so gefestigt, dass er jedem der benachbarten Völker im Kriege gleichgekommen wäre; aber wegen des Mangels an Frauen würde diese Größe nur ein Menschenleben lang andauern, da sie ja weder auf Nachkommenschaft zuhause hoffen konnten, noch Verbindungen mit den Nachbarvölkern eingingen. Daraufhin schickte Romulus auf Beschluss der Väter Legaten zu den Nachbarvölkern, die ein Bündnis und Eheschließungen für neues Volk ersuchen sollten: Städte entstünden, wie auch die übrigen Dinge, von klein auf; weiterhin würden sie großen Reichtum und einen großen Namen erwerben, weil ihre Tugend und ihre Götter dabei behilflich seien; man wüsste zur Genüge, dass sowohl die Götter bei der Entstehung Roms geholfen hätten und dass es an Tugend nicht fehlen würde; deshalb mögen die Menschen nicht zögern, Blut und Geschlecht mit anderen Menschen zu vermischen. Nirgends wurde die Gesandtschaft wohlwollend angehört: so sehr verachteten sie sie einerseits und fürchteten diese so große, in ihrer Mitte erwachsende Macht ihretwegen und wegen ihrer Nachkommen. Und von den meisten Fragestellern wurden sie weggeschickt, ob sie wohl den Frauen auch Asyl gewähren würden; das wäre nämlich dann schließlich eine ausgeglichene Verbindung. Die römischen Männer nahmen ihnen das übel und die Sache begann zweifellos, sich zur Gewalt zu neigen. Um dieser Gewalt eine geeignete Gelegenheit und einen geeigneten Ort zu verschaffen, verbarg Romulus seine Wut und ließ fleißig feierliche Spiele für den Reiter Neptun vorbereiten; die Konsualien riefen. Er befahl, den Nachbarn das Spektakel anzukündigen; und sie betrieben dies mit so großem Aufwand, wie sie nur kannten und konnten, um die Sache großartig und eindrucksvoll zu machen.

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Sermo 2, 6

Horaz beschäftigt sich in der Satire II, 6 – wie in vielen anderen seiner Satiren und Episteln – mit der Frage, ob das Leben auf dem Land oder auf der Stadt das „bessere“ ist. Recht idealistisch fallen seine Schilderungen des Landlebens aus; gnadenlos realistisch hingegen kritisiert er das Stadtleben mit all seinen Unanehmlichkeiten. Doch auch die Frage nach dem Sinn von Gewinnsucht und Geldstreben stellt sich in dieser Satire – ein weiteres zentrales Motiv der Dichtung Horaz‘.
Im Anschluss an diese Erwägungen folgt die Fabel von der Stadtmaus und der Landmaus, welche im Original bei Aesop zu finden sein dürfte. Hierbei handelt es sich um eine Metapher, welche Horaz‘ unschlüssiges Abwägen zwischen Land- und Stadtleben in die Welt der Tiere überträgt: die Armut auf dem Lande betrifft den Bauern ebenso wie die Landmaus; doch die Gefahren der Stadt lauern nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Mäuse. Und die Gefahren sind sich garnicht so unähnlich: stören Horaz die vielen Leute, die in Rom alltäglich Fragen und Bitten an ihn stellen, werden die Mäuse vom tosenden Gebell der Wachhunde umher gescheucht.
1 Hoc erat in votis: modus agri non ita magnus,
hortus ubi et tecto vicinus iugis aquae fons
et paulum silvae super his foret. auctius atque
di melius fecere. bene est. nil amplius oro,
5 Maia nate, nisi ut propria haec mihi munera faxis.
So war es gelobt: ein nicht so großes Maß an Acker,
wo ein Garten und ein Wasserjoch nahe am Hause
und darüber hinaus ein wenig Wald sein soll. Aber höher
und besser haben es die Götter gemacht. Es ist gut. Nichts größeres will ich,
der Maia Geborener, als dass du mir jenes Geschenk übereignest.

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