Satyricon III, 61-63 (Der Werwolf)

Buch III, 61-63: Der Werwolf

[LXI] Postquam ergo omnes bonam mentem bonamque valitudinem sibi optarunt, Trimalchio ad Nicerotem respexit et: „Solebas, inquit, suavius esse in convictu; nescio quid nunc taces nec muttis. Oro te, sic felicem me videas, narra illud quod tibi usu venit.“ Niceros delectatus affabilitate amici: „Omne me, inquit, lucrum transeat, nisi iam dudum gaudimonio dissilio, quod te talem video. Itaque hilaria mera sint, etsi timeo istos scolasticos ne me rideant. Viderint: narrabo tamen, quid enim mihi aufert, qui ridet? satius est rideri quam derideri.“ Haec ubi dicta dedit, talem fabulam exorsus est:
Nachdem sich also alle einen guten Geist und eine gute Gesundheit gewünscht hatten, blickte Trimalchio zu Niceros zurück und sagte: „Du warst für gewöhnlich beim Gelage vergnüglicher; ich weiß nicht, warum du jetzt schweigst und dich nicht regst. Ich bitte dich, damit du mich erfreust, erzähl irgendetwas, was du erlebt hast.“ Niceros freute sich über die Neugierde seines Freundes, und sprach: „Jeder gute Handel soll an mir vorüberziehen, wenn ich nicht schon lange vor Freude platze, weil ich dich so fröhlich sehe. Deshalb soll reine Heiterkeit herrschen, obwohl ich fürchte, dass diese Scholasten da über mich lachen werden. Sollen sie nur: ich werde trotzdem erzählen, was sorgt mich schon einer, der lacht? Es ist besser, die anderen lachen über mich, als wenn sie mich auslachen.“ Nachdem er das gesagt hatte, besann er mit der folgenden Geschichte:

„Cum adhuc servirem, habitabamus in vico angusto; nunc Gavillae domus est. Ibi, quomodo dii volunt, amare coepi uxorem Terentii coponis: noveratis Melissam Tarentinam, pulcherrimum bacciballum. Sed ego non mehercules corporaliter aut propter res venerias curavi, sed magis quod benemoria fuit. Si quid ab illa petii, nunquam mihi negatum; fecit assem, semissem habui; in illius sinum demandavi, nec unquam fefellitus sum. Huius contubernalis ad villam supremum diem obiit. Itaque per scutum per ocream egi aginavi, quemadmodum ad illam pervenirem: nam, ut aiunt, in angustiis amici apparent.
Als ich noch ein Diener war, wohnten wir in einem engen Quartier; nun ist es das Haus der Gavilla. Dort begann ich, mich in die Frau des Wirtes Terentius zu verlieben, wie es die Götter wohl wollten: ihr kanntet die Melissa, die aus Tarent, eine sehr hübsche, dicke Nudel. Aber ich habe, beim Herkules, sie nicht körperlich oder in Aspekten der Begattung umsorgt, sondern eher weil sie ein süsses Geschöpf war. Wenn ich sie um etwas gebeten habe, hat sie’s mir niemals verwehrt; hatte sie einen Dukaten verdient, bekam ich einen halben; ich habe es ihrer Brust überantwortet, und wurde nie betrogen. Ihren Gefährten überkam der letzte Tag auf dem Landgut. Deshalb versuchte und wand und drehte ich mich durch Schild und Panzer, irgendwie an sie heranzukommen: denn man sagt, in schwierigen Situationen beweisen sich die Freunde.

[LXII] „Forte dominus Capuae exierat ad scruta scita expedienda. Nactus ego occasionem persuadeo hospitem nostrum, ut mecum ad quintum miliarium veniat. Erat autem miles, fortis tanquam Orcus. Apoculamus nos circa gallicinia; luna lucebat tanquam meridie. Venimus inter monimenta: homo meus coepit ad stelas facere; sedeo ego cantabundus et stelas numero. Deinde ut respexi ad comitem, ille exuit se et omnia vestimenta secundum viam posuit. Mihi anima in naso esse; stabam tanquam mortuus. At ille circumminxit vestimenta sua, et subito lupus factus est. Nolite me iocari putare; ut mentiar, nullius patrimonium tanti facio. Sed, quod coeperam dicere, postquam lupus factus est, ululare coepit et in silvas fugit. Ego primitus nesciebam ubi essem; deinde accessi, ut vestimenta eius tollerem: illa autem lapidea facta sunt. Qui mori timore nisi ego? Gladium tamen strinxi et <in tota via> umbras cecidi, donec ad villam amicae meae pervenirem. In larvam intravi, paene animam ebullivi, sudor mihi per bifurcum volabat, oculi mortui; vix unquam refectus sum. Melissa mea mirari coepit, quod tam sero ambularem, et: ‚Si ante, inquit, venisses, saltem nobis adiutasses; lupus enim villam intravit et omnia pecora tanquam lanius sanguinem illis misit. Nec tamen derisit, etiamsi fugit; senius enim noster lancea collum eius traiecit‘. Haec ut audivi, operire oculos amplius non potui, sed luce clara Gai nostri domum fugi tanquam copo compilatus; et postquam veni in illum locum, in quo lapidea vestimenta erant facta, nihil inveni nisi sanguinem. Vt vero domum veni, iacebat miles meus in lecto tanquam bovis, et collum illius medicus curabat. Intellexi illum versipellem esse, nec postea cum illo panem gustare potui, non si me occidisses. Viderint quid de hoc alii exopinissent; ego si mentior, genios vestros iratos habeam.“
Zufällig war mein Herr in Capua ausgegangen um sein schickes Gerümpel durchzubringen. Ich bekam eine Gelegenheit und überredete unseren Gast, dass er mit mir zu fünften Meilenstein kam. Das war aber ein Soldat, tapfer wie der Pluto. Wir machten uns im Morgengrauen auf; der Mond schien wie am Mittag. Wir kamen an einigen Gedenkstätten vorbei: mein Mann trieb sich bei den Grabsäulen herum; ich saß singend dabei und zählte die Grabsäulen. Als ich dann zu meinem Kollegen zurückblickte, hatte der sich ausgezogen und hatte all seine Kleider auf den Weg gelegt. Mir rutschte das Herz in die Hose; ich stand da wie tot. Aber jener pinkelte um seine Kleidung herum, und plötzlich wurde er zu einem Wolf. Glaubt nicht, ich würde Witze machen; für kein Geld der Welt würde ich lügen. Aber, ich hatte angefangen zu erzählen, nachdem er zum Wolf geworden war, da fing er an zu heulen und floh in die Wälder. Ich wusste erstmal nicht, wo ich war; dann wollte ich anfangen, seine Kleidung aufzusammeln: sie war zu Stein geworden. Wer könnte vor Angst sterben, wenn nicht ich? Dennoch zog ich mein Schwert und schlug auf Schatten ein, bis ich zum Haus meiner Freundin gelangte. Gespensterbleich trat ich ein, keuchte mir fast die Seele aus dem Leib, der Schweiß strömte mir über den Hals, mir wurde schwarz vor Augen; kaum habe ich mich jemals davon erholt. Meine Melissa begann sich zu wundern, dass ich so spät noch spazieren war, und sagte: „Wenn du früher gekommen wärst, hättest du mir wenigstens helfen können; denn ein Wolf ist in mein Haus gekommen und hat alle meine Tiere wie ein Metzger zerfleischt und ihr Blut verspritzt. Und dennoch freute er sich nicht, obwohl er floh; unser Greis hat ihm nämlich eine Lanze in den Hals gebohrt.“ Als ich das hörte, konnte ich meine Augen nicht weiter schließen, aber als das Licht heller wurde, lief ich zu dem Haus unseres Gaius wie ein bestohlener Gastwirt; und nachdem ich an den Ort kam, an dem die versteinerten Kleider gelegen hatten, fand ich dort nur Blut. Aber als ich nach Hause kam, lag mein Soldat in einem Bett wie ein Lämmchen, und ein Arzt behandelte seinen Hals. Da verstand ich, dass er ein Werwolf war, und konnte danach nicht mehr mit ihm gemeinsam Abendbrot essen, nicht mal, wenn man mich sonst getötet hätte.Die anderen sollen zusehen, was sie darüber denken; wenn ich lüge, möge ich eure Schutzengel erzürnen!“

[LXIII] Attonitis admiratione universis: „Salvo, inquit, tuo sermone, Trimalchio, si qua fides est, ut mihi pili inhorruerunt, quia scio Niceronem nihil nugarum narrare: immo certus est et minime linguosus. Nam et ipse vobis rem horribilem narrabo. Asinus in tegulis. „Cum adhuc capillatus essem, nam a puero vitam Chiam gessi, ipsimi nostri delicatus decessit, mehercules margaritum, <sacritus> et omnium numerum. Cum ergo illum mater misella plangeret et nos tum plures in tristimonio essemus, subito <stridere> strigae coeperunt; putares canem leporem persequi. Habebamus tunc hominem Cappadocem, longum, valde audaculum et qui valebat: poterat bovem iratum tollere. Hic audacter stricto gladio extra ostium procucurrit, involuta sinistra manu curiose, et mulierem tanquam hoc loco — salvum sit, quod tango! — mediam traiecit. Audimus gemitum, et — plane non mentiar — ipsas non vidimus. Baro autem noster introversus se proiecit in lectum, et corpus totum lividum habebat quasi flagellis caesus, quia scilicet illum tetigerat mala manus. Nos cluso ostio redimus iterum ad officium, sed dum mater amplexaret corpus filii sui, tangit et videt manuciolum de stramentis factum. Non cor habebat, non intestina, non quicquam: scilicet iam puerum strigae involaverant et supposuerant stramenticium vavatonem. Rogo vos, oportet credatis, sunt mulieres plussciae, sunt Nocturnae, et quod sursum est, deorsum faciunt. Ceterum baro ille longus post hoc factum nunquam coloris sui fuit, immo post paucos dies freneticus periit.
„Während alle vor Verwunderung verstummt waren, sagte Trimalchio: „Ich achte deine Rede, wenn man’s glauben kann, mir haben sich die Haare aufgestellt, weil ich weiß, dass Niceros keine Albernheiten erzählt: vielmehr ist er vertrauenswürdig und keineswegs ein Schwätzer. Denn ich werde euch auch selbst eine Schauergeschichte erzählen: vom Esel auf den Dachziegeln. Als ich noch Haare hatte – denn von Kindheit an führte ich ein Leben wie in Chios -, verstarb der hübsche Kerl unseres Chefs, eine Perle, beim Herkules, ein frommer Knabe und das in allen Dingen. Als seine unglückliche Mutter ihn verdrosch und wir damals recht traurig waren, da begannen plötzlich die Hexen zu zischen; man hätte denken können, ein Hund verfolgte einen Hasen. Wir hatten damals einen Kappadokier bei uns, einen großen, sehr kühnen und enormen Kerl: er konnte sogar einen wütenden Stier bändigen. Der lief kühn mit gezogenem Schwert vor die Türe, die linke Hand aufmerksam eingewickelt, und durchbohrte eine Frau etwa hier – da, wo ich’s berühre – in der Mitte. Wir hörten ein Seufzen, und – ich lüge nicht – haben sie selbst nicht gesehen. Unser Dorfdepp aber ging zurück ins Haus und legte sich ins Bett, und der ganze Körper war bläulich, wie von Peitschen verdroschen, weil ihn bestimmt eine unheilvolle Hand berührt hatte. Wir verschlossen die Tür und gingen zurück ans Werk, aber als die Mutter den Körper ihres Sohnes umgriff, berührte und sah sie ein Strohmännchen. Es hatte kein Herz, keine Innereien, garnichts: die Hexen hatten den Buben bereits weggestohlen und und eine Strohpuppe an seine Stelle gelegt. Ich bitte euch, ihr müsst es glauben, es gibt darin befähigte Weiber, es gibt Nachtwesen, und machen nieder, was aufrecht ist. Im Übrigen ist unser Dorfdepp danach niemals mehr zu seiner alten Farbe gekommen, vielmehr ist er nach wenigen Tagen als Wahnsinniger verstorben.“