Epistula 2, 1

Cum tot sustineas et tanta negotia solus,
res Italas armis tuteris, moribus ornes,
legibus emendes, in publica commoda peccem
si longo sermone morer tua tempora, Caesar.
Weil du so viele und so große Aufgaben allein bewältigst,
die italischen Länder mit Waffen schützt, sie mit Sitten schmückst,
mit Gesetzen verbesserst, würde ich gegen die Interessen der Gemeinschaft freveln,
wenn ich deine Zeit mit langem Gerede verschwendete, o Caesar.

5 Romulus et Liber pater et cum Castore Pollux,
post ingentia facta deorum in templa recepti,
dum terras hominumque colunt genus, aspera bella
componunt, agros adsignant, oppida condunt,
plorauere suis non respondere fauorem
10 speratum meritis. Diram qui contudit hydram
notaque fatali portenta labore subegit,
comperit inuidiam supremo fine domari.
Solange Romulus und der Vater Bacchus und Pollux mit Kastor,
die nach ihren ungeheueren Taten in die Tempel der Götter aufgenommen wurden,
die Erde und das Menschengeschlecht pflegten, schwere Kriege
zuende führten, Äcker zuteilten, Städte gründeten,
klagten sie, dass die erhoffte Gunst für ihre Verdienste
nicht gewährt wurde. Wer die schreckliche Hydra totschlug
und berüchtigte Ungeheuer in tödlicher Mühe unterwarf,
erfuhr, dass Neid letzten Endes gezähmt wird.

Vrit enim fulgore suo qui praegrauat artes
infra se positas; extinctus amabitur idem.
15 Praesenti tibi maturos largimur honores
iurandasque tuom per numen ponimus aras,
nil oriturum alias, nil ortum tale fatentes.
Denn es verbrennt in seinem Glanz, wer Fähigkeiten übertrifft,
die niedriger gelegen sind als seine eigenen; verstorben wird er ebenso geliebt werden.
Dir aber schenken wir in deiner Gegenwart schon wohlverdiente Ehrungen
und stellen Altäre auf, an denen wir zu deiner Gottheit schwören
und aussprechen, dass etwas Vergleichbares nie mehr entstehen, nie je irgendwo entstanden sei.

Sed tuus hic populus sapiens et iustus in uno
te nostris ducibus, te Grais anteferendo
20 cetera nequaquam simili ratione modoque
aestimat et, nisi quae terris semota suisque
temporibus defuncta uidet, fastidit et odit,
sic fautor ueterum ut tabulas peccare uetantis,
quas bis quinque uiri sanxerunt, foedera regum
25 uel Gabiis uel cum rigidis aequata Sabinis,
pontificum libros, annosa uolumina uatum
dictitet Albano Musas in monte locutas.
Aber dieses dein Volk, weise und gerecht,
schätzt dich geschlossen höher als unsere Führer, als die Griechen,
und keineswegs beurteilt es andere Dinge mit ähnlichem Gedanken oder Maß
und, wenn es etwas nicht von der Erde emporgehoben und zu seiner
Zeit verstorben sieht, verabscheut und hasst es das,
und so ist es ein Beschützer alter Dinge, wie die Tafeln, die das Unrechttun verbieten,
die zwei Fünfmänner stifteten, oder die Königsverträge,
die mit den Gabii und den widerspenstigen Sabinern ausgeglichen geschlossen wurden,
die Bücher der Priester, die uralten Bücherbände der Seher,
von denen das Volk sagt, sie seien auf dem Albanerberg von den Musen gesprochen worden.

Si, quia Graiorum sunt antiquissima quaeque
scripta uel optima, Romani pensantur eadem
30 scriptores trutina, non est quod multa loquamur:
nihil intra est oleam, nil extra est in nuce duri;
uenimus ad summum fortunae: pingimus atque
psallimus et luctamur Achiuis doctius unctis.
Wenn, weil die die ältesten Schriften der Griechen
auch die besten sind, die römischen Schriftsteller auf der gleichen
Waage gewogen werden, müssen wir nicht viel reden:
nichts Hartes gibt es in der Olive, nichts Hartes außen um die Nuss;
wir sind zum Höchsten des Glücks gekommen: wir zeichnen,
machen Musik, und ringen gelehrter als die gesalbten Achiver.

Si meliora dies, ut uina, poemata reddit,
35 scire uelim chartis pretium quotus adroget annus.
Scriptor abhinc annos centum qui decidit, inter
perfectos ueteresque referri debet an inter
uilis atque nouos? Excludat iurgia finis.
‚Est uetus atque probus centum qui perficit annos.‘
Wenn mit den Tagen Wein und Dichtung besser werden,
möchte ich wissen, wie viele Jahre den Blättern einen besseren Preis geben.
Muss ein Schreiber, der vor hundert Jahren verschied, unter
die vollendeten und alten gezählt werden oder unter
die billigen und jungen? Eine Grenze möge die Streitereien beenden.
„Es ist alt und erfahren, wer hundert Jahre vollendet hat.“

40 Quid? Qui deperiit minor uno mense uel anno,
inter quos referendus erit? Veteresne poetas
an quos et praesens et postera respuat aetas?
‚Iste quidem ueteres inter ponetur honeste
qui uel mense breui uel toto est iunior anno.‘
Was? Wer einen Monat oder ein Jahr später starb,
und welche wird man den zählen müssen? Unter die alten Dichter
oder unter die, die Gegenwart und Zukunft bespucken?
„Jenen darf man freilich zurecht unter die Alten zählen,
der vielleicht einen kurzen Monat oder ein ganzes Jahr jünger ist.“

45 Vtor permisso caudaeque pilos ut equinae
paulatim uello et demo unum, demo etiam unum,
dum cadat elusus ratione ruentis acerui
qui redit in fastos et uirtutem aestimat annis
miraturque nihil, nisi quod Libitina sacrauit.
Ich nutze die Erlaubnis und reiße Haare wie Haare vom Pferdeschwanz
ab und nehme allmählich erst eins, dann noch eins,
bis, ausgetrickst vom Schluss des verschwindenden Haufens, fällt,
wer sich auf den Kalender verlässt und die Tugend nach Jahren bemisst
und nichts bewundert, wenn es nicht die Libitina geheiligt hat.

50 Ennius, et sapiens et fortis et alter Homerus,
ut critici dicunt, leuiter curare uidetur
quo promissa cadant et somnia Pythagorea.
Naeuius in manibus non est et mentibus haeret
paene recens? Adeo sanctum est uetus omne poema.
Ennius, weise, tapfer, ein neuer Homer,
wie die Kritiker sagen, scheint sich wenig drum zu sorgen,
wie die Voraussagen und pythagoreischen Träume sich ergeben.
Ist Naevius nicht in unseren Händen und haftet in unseren Köpfen,
als sei er gerade erst gestorben? Und so heilig ist ein jedes alte Gedicht.

55 Ambigitur quotiens uter utro sit prior, aufert
Paccuuius docti famam senis, Accius alti,
dicitur Afrani toga conuenisse Menandro,
Plautus ad exemplar Siculi properare Epicharmi,
uincere Caecilius grauitate, Terentius arte.
60 Hos ediscit et hos arto stipata theatro
spectat Roma potens; habet hos numeratque poetas
ad nostrum tempus Liui scriptoris ab aeuo.
Jedesmal wenn gestritten wird, wer wen überrage, nimmt
Pacuvius den Ruhm des gelehrten Greises mit, Accius den des Hohen,
und man sagt, des Afranius‘ Toga hätte dem Menander auch gestanden,
Plautus eifert seinem Beispiel, dem Epicharm von Sizilien, nach,
und Caecilius gewinnt durch Ernst, Terenz durch Kunstfertigkeit.
Diese lernt auswendig und diese betrachtet im vollgestopften Theater
das mächtige Rom; diese besitzt und zählt es als Dichter auf
vom Zeitalter des Schreibers Livius bis zu unserer Zeit.

Interdum uolgus rectum uidet, est ubi peccat.
Si ueteres ita miratur laudatque poetas
65 ut nihil anteferat, nihil illis comparet, errat;
si quaedam nimis antique, si pleraque dure
dicere credit eos, ignaue multa fatetur,
et sapit et mecum facit et Ioue iudicat aequo.
Manchmal sieht der Pöbel richtig, und es kommt vor, dass es sich täuscht.
Wenn er die alten Dichter so bewundert und lobt,
dass er nichts ihnen vorzieht, nichts mit ihnen vergleicht, irrt er;
wenn Wenn es aber meint, sie sagten bestimmte Dinge zu altertümlich, viele zu hart,
und viele Dinge würden schwach vorgebracht,
dann hat es Geschmack, steht auf meiner Seite, und urteilt recht, dem Juppiter gleich.

Non equidem insector delendaue carmina Liui
70 esse reor, memini quae plagosum mihi paruo
Orbilium dictare; sed emendata uideri
pulchraque et exactis minimum distantia miror.
Inter quae uerbum emicuit si forte decorum,
si uersus paulo concinnior unus et alter,
75 iniuste totum ducit uenditque poema.
Ich zumindest folge nicht den Liedern des Livius,
oder meine, man müsste sie vernichten, denn ich erinnere mich, wie der prügelfreudige
Orbilius sie mir als kleinem Jungen diktierte; aber dass sie verkünstelt klingen
und schön und kaum von Perfektion entfernt sein sollen, wundert mich.
Wenn unter diesen ein Wort herausschimmert, das vielleicht kunstvoll ist,
wenn der eine oder andere Vers ein wenig ausgefeilter ist,
ist es trotzdem unrecht, wenn er ganze Gedicht dafür hält und zu verkauft.

Indignor quicquam reprehendi, non quia crasse
compositum inlepideue putetur, sed quia nuper,
nec ueniam antiquis, sed honorem et praemia posci.
Recte necne crocum floresque perambulet Attae
80 fabula si dubitem, clament periisse pudorem
cuncti paene patres, ea cum reprehendere coner
quae grauis Aesopus, quae doctus Roscius egit,
uel quia nil rectum, nisi quod placuit sibi, ducunt,
uel quia turpe putant parere minoribus et, quae
85 inberbes didicere, senes perdenda fateri.
Ich bin beleidigt, dass etwas getadelt wird, nicht weil es stumpf
komponiert oder für holprig gehalten wird, sondern weil es neu ist,
und dass den Alten nicht Nachsicht, sondern Ehr und Ruhm zugesprochen wird.
Wenn ich mich fragen würde, ob die Geschichte des Atta zurecht in Krokussen und
Blumen herumspaziert, würden fast alle Senatoren gemeinsam aufschreien, dass der Anstand
gestorben sei, weil ich das zu tadeln beginne,
was der altehrwürdige Äsop, was der gelehrige Roscius aufführte,
sei es, weil sie nichts für richtig halten, wenn es ihnen nicht gefällt,
sei es, weil sie für hässlich halten, Jüngeren zuzuhören, und was
sie als Bartlose noch gelernt haben, als alte Männer verloren gehen lassen.

Iam Saliare Numae carmen qui laudat, et illud
quod mecum ignorat solus uolt scire uideri,
ingeniis non ille fauet plauditque sepultis,
nostra sed inpugnat, nos nostraque liuidus odit.
90 Quodsi tam Graecis nouitas inuisa fuisset
quam nobis, quid nunc esset uetus? Aut quid haberet
quod legeret tereretque uiritim publicus usus?
Wer schon das Salierlied des Numa lobt, und das,
was er – wie ich – garnicht kennt, als einziger kennen zu wollen scheint,
der rühmt und preist nicht die verstorbenen Genies,
sondern kämpft nur gegen unsere an, uns und unsere Leute hasst er, blau vor Neid.
Wäre den Griechen Neues ebenso unwillkommen gewesen
wie uns, was gäb es nun Altes? Oder was hätte die Öffentlichkeit,
was sie läse, und Mann für Mann ständig nutzte?

Vt primum positis nugari Graecia bellis
coepit et in uitium fortuna labier aequa,
95 nunc athletarum studiis, nunc arsit equorum,
marmoris aut eboris fabros aut aeris amauit,
suspendit picta uoltum mentemque tabella,
nunc tibicinibus, nunc est gauisa tragoedis;
sub nutrice puella uelut si luderet infans,
100 quod cupide petiit mature plena reliquit.
Sobald Griechenland nach dem Ende der Kriege anfing,
zu scherzen und durch die Schicksalsgunst in Fehler zu verfallen,
da brannte sein Eifer heute für Athleten, morgen für Pferde,
liebte Marmor-, Elfenbein- oder Erzkünstler,
hängte Blick und Geist an Gemälde,
erfreute sich bald an Flötenspielern, bald an Tragödien;
wie wenn ein kleines Mädchen bei seiner Amme spielt,
und was es begierig verlangt hat, bald schon gelangweilt liegen lässt.

Quid placet aut odio est, quod non mutabile credas?
Hoc paces habuere bonae uentique secundi.
Romae dulce diu fuit et sollemne reclusa
mane domo uigilare, clienti promere iura,
105 cautos nominibus rectis expendere nummos,
maiores audire, minori dicere per quae
crescere res posset, minui damnosa libido.
Was gefällt oder verhasst ist, hältst du für unveränderlich?
Das hatten der gute Frieden und das Glück des Windes.
In Rom war es lange ziemlich und feierlich, am Morgen
das Haus zu öffnen und wach zu sein, dem Clienten die Gesetze darzulegen,
wohlbemessene Summen an die richtigen Leute zu verleihen,
Alten zuzuhören, den Jüngeren zu sagen, wodurch das Vermögen
wachsen könne und die verfluchende Begierde verringere.

Mutauit mentem populus leuis et calet uno
scribendi studio; pueri patresque seueri
110 fronde comas uincti cenant et carmina dictant.
Ipse ego, qui nullos me adfirmo scribere uersus,
inuenior Parthis mendacior et prius orto
sole uigil calamum et chartas et scrinia posco.
Leicht hat das Volk seinen Sinn geändert und glüht
nun im Eifer für das Schreiben; Knaben und ernste Väter
speisen mit laubumwundenen Schläfen und sagen Gedichte auf.
Ich selbst, der ich bekräftige, dass ich keinerlei Gedichte schreibe,
werde dabei ertappt, wie ich wilder lüge als die Parther, und verlange
noch vor Sonnenaufgang Griffel, Blätter und Bücherschachtel.

Nauim agere ignarus nauis timet; habrotonum aegro
115 non audet nisi qui didicit dare; quod medicorum est
promittunt medici; tractant fabrilia fabri:
scribimus indocti doctique poemata passim.
Der das Schiff nicht kennt, fürchtet sich, es zu lenken; dem Kranken Stabwurz
zu geben wagt nicht, wer es nicht gelernt hat. Was Ärzte können,
das kümmert die Ärzte; die Zimmersleute kümmern sich um das Zimmerhandwerk;
aber wir alle schreiben, Gelehrte wie Ungelehrte gleichermaßen, Gedichte.

Hic error tamen et leuis haec insania quantas
uirtutes habeat, sic collige: uatis auarus
120 non temere est animus; uersus amat, hoc studet unum;
detrimenta, fugas seruorum, incendia ridet;
non fraudem socio pueroue incogitat ullam
pupillo; uiuit siliquis et pane secundo;
militiae quamquam piger et malus, utilis urbi,
125 si das hoc, paruis quoque rebus magna iuuari.
Trotzdem: wie viele Vorteile dieser Fehler, dieser
leichte Irrsinn hat, das glaube mir: Das Herz eines Dichters
ist nicht blind vor Gier; es liebt die Verse, das allein interessiert es;
Schäden an Vermögen, flüchtende Sklaven, Brand belächelt es;
plant nicht Betrug am Freund oder am Waisenkind;
lebt von Hülsenfrüchten und altem Brot;
obgleich für den Kriegsdienst zu faul und zu schwach, der Stadt nützlich,
wenn du zugestehst, dass man sich auch an kleinen Dingen sehr freuen kann.

Os tenerum pueri balbumque poeta figurat,
torquet ab obscenis iam nunc sermonibus aurem,
mox etiam pectus praeceptis format amicis,
asperitatis et inuidiae corrector et irae,
130 recte facta refert, orientia tempora notis
instruit exemplis, inopem solatur et aegrum.
Den sanften Mund des Knaben, den brabbelnden, formt der Dichter
und wendet sein Ohr von obszönen Reden schon jetzt ab,
bildet bald auch sein Herz mit freundschaftlichen Vorschriften,
als Mäßiger der Härte, des Neids und des Zorns,
berichtet von guten Taten, lehrt die Heranwachsendenjahre mit berühmten
Vorbildern, tröstet den Mittellosen und den Schwermütigen.

Castis cum pueris ignara puella mariti
disceret unde preces, uatem ni Musa dedisset?
Poscit opem chorus et praesentia numina sentit,
135 caelestis implorat aquas docta prece blandus,
auertit morbos, metuenda pericula pellit,
impetrat et pacem et locupletem frugibus annum;
carmine di superi placantur, carmine Manes.
Woher würde das unverheiratete Mädchen mit den keuschen Jungen
die Gebete lernen, wenn die Muse ihnen nicht den Dichter gegeben hätte?
Der Chor fordert Hilfe und fühlt die Anwesenheit der Götter,
erfleht himmlische Wasser, schmeichelnd mit den erlernten Gebeten,
wendet Krankheiten ab, vertreibt furchtbare Gefahren,
erlangt Frieden und ein erntereiches Jahr;
die höchsten Götter werden durch Gedichte besänftigt, die Manen durch Gesänge.

Agricolae prisci, fortes paruoque beati,
140 condita post frumenta leuantes tempore festo
corpus et ipsum animum spe finis dura ferentem,
cum sociis operum pueris et coniuge fida
Tellurem porco, Siluanum lacte piabant,
floribus et uino Genium memorem breuis aeui.
Die uralten Bauern, tapfer und mit wenig glücklich,
nachdem sie das Getreide geerntet hatten, entspannten zur Festzeit
den Körper und ihren Geist, der in der Hoffnung auf ein Ende Hartes ertrug,
mit ihren Arbeitsfreunden, Kindern und der treuen Ehefrau
und besänftigten Tellus mit Schweinefleisch, Silvanus mit Milch,
mit Blumen und Wein den Genius, der an das kurze Leben erinnert.

145 Fescennina per hunc inuenta licentia morem
uersibus alternis opprobria rustica fudit,
libertasque recurrentis accepta per annos
lusit amabiliter, donec iam saeuos apertam
in rabiem coepit uerti iocus et per honestas
150 ire domos impune minax. Doluere cruento
dente lacessiti, fuit intactis quoque cura
condicione super communi; quin etiam lex
poenaque lata, malo quae nollet carmine quemquam
describi; uertere modum, formidine fustis
155 ad bene dicendum delectandumque redacti.
Das Fescenninenfest ist durch diese Sitte entstanden
und in seinen Wechselgesängen schüttet es bäuerliche Schimpfereien aus,
und die Freiheit wurde mit den wiederkehrenden Jahren akzeptiert und
spielte liebenswert, bis in offener Raserei schon der Scherz anfing, in Wildheit
umzuschlagen und durch ehrbare Häuser
ungestraft drohend zu wandeln. Es litten die, die mit dem scharfen
Zahn verletzt worden waren, und auch die Unversehrten sorgten sich
wegen des gemeinsamen Geschicks; ja sogar Gesetz und
Strafe wurden aufgesetzt, die verbaten, dass irgendwer durch ein Schimpflied
herabgesetzt werden; die Weise änderte sich und aus Angst vor der Prügelstrafe
kehrte man zurück zu dem, was schön zu sagen und erfreulich ist.

Graecia capta ferum uictorem cepit et artes
intulit agresti Latio; sic horridus ille
defluxit numerus Saturnius, et graue uirus
munditiae pepulere; sed in longum tamen aeuum
160 manserunt hodieque manent uestigia ruris.
Das bezwungene Griechenland bezwang seinen wilden Bezwinger und trug
die Künste ins bäuerliche Latium; so floss dieser fürchterliche
Saturniervers davon und diesen schwerfälligen Schleim
vertrieb die Feinheit; aber für lange Zeit blieben sie dennoch
und heute noch bleiben uns Spuren der Bäuerlichkeit.

Serus enim Graecis admouit acumina chartis
et post Punica bella quietus quaerere coepit,
quid Sophocles et Thespis et Aeschylos utile ferrent.
Temptauit quoque rem si digne uertere posset,
165 et placuit sibi, natura sublimis et acer;
nam spirat tragicum satis et feliciter audet,
sed turpem putat inscite metuitque lituram.
Spät nämlich wandte man sich dem Scharfsinn der griechischen Schriften zu
und nach den punischen Kriegen begann man leise zu fragen,
was Sophokles und Thespis und Aischylos Nützliches bringen.
Auch versuchte man, ob man die Sache, wenn sie dessen angemessen war, übersetzen könne,
und man gefiel sich, von Natur aus hochtrabend und ernst;
denn das Tragische atmet man reichlich und mit Glück wagt man sich daran,
hält aber jede Veränderung ungelehrt für hässlich und fürchtet sie.

Creditur, ex medio quia res arcessit, habere
sudoris minimum, sed habet comoedia tanto
170 plus oneris, quanto ueniae minus. Aspice, Plautus
quo pacto partis tutetur amantis ephebi,
ut patris attenti, lenonis ut insidiosi,
quantus sit Dossennus edacibus in parasitis,
quam non adstricto percurrat pulpita socco;
175 gestit enim nummum in loculos demittere, post hoc
securus, cadat an recto stet fabula talo.
Es wird geglaubt, weil sie ihr Thema aus der Mitte holt,
verlange die Komödie den geringsten Aufwand, aber sie hat umso mehr
Last auf sich, weil ihr weniger verziehen wird. Schau,
auf welche Weise Plautus die Rolle des liebenden Jugendlichen,
wie die des aufmerksamen Vaters, des listigen Löwen anlegt,
wie groß der Dossennus bei den gefräßigen Parasiten wirkt,
wie er mit ungeschnürtem Schuh über die Bühne stolpert;
denn er giert danach, Geld in sein Kästchen zu bringen, und danach
ist er sicher, egal ob seine Geschichte nun fest auf dem Fuß steht oder fällt.

Quem tulit ad scaenam uentoso Gloria curru
exanimat lentus spectator, sedulus inflat;
sic leue, sic paruum est animum quod laudis auarum
180 subruit aut reficit. Valeat res ludicra, si me
palma negata macrum, donata reducit opimum.
Wen der Ruhm im windigen Wagen zum Theater brachte,
den entseelt ein gelangweilter Zuschauer, den bläst ein interessierter auf;
so leicht, so klein ist, was ein nach Lob gierendes Herz
zerstört oder wiederbelebt. Wohl lebe die Kömodie, wenn mich
ein verweigerter Triumph dürr, ein gegebener dagegen fett macht.

Saepe etiam audacem fugat hoc terretque poetam,
quod numero plures, uirtute et honore minores,
indocti stolidique et depugnare parati
185 si discordet eques, media inter carmina poscunt
aut ursum aut pugiles; his nam plebecula gaudet.
Verum equitis quoque iam migrauit ab aure uoluptas
omnis ad incertos oculos et gaudia uana.
Oft auch verscheucht und erschreckt es einen mutigen Dichter,
dass die an Zahl reicheren, an Tugend und Ehre ärmeren,
ungelehrten und dummen und zur gewaltsamen Durchsetzung bereiten,
wenn ein Ritter mit ihnen nicht übereinstimmt, mitten im Gedicht einen
Bären oder Faustkämpfer fordern; denn darüber freut sich das Pöbelvölkchen.
Aber auch der Wunsch des Ritters ist schon vom Ohr gänzlich
zu den unzuverlässigen Augen und sinnleerem Spaß abgewandert.

Quattuor aut pluris aulaea premuntur in horas
190 dum fugiunt equitum turmae peditumque cateruae;
mox trahitur manibus regum fortuna retortis,
esseda festinant, pilenta, petorrita, naues,
captiuum portatur ebur, captiua Corinthus.
Für vier und noch mehr Stunden drücken sie den Teppich,
während Reitertruppen daherpreschen und Infanteriekorps;
bald wird das Schicksal gefesselter Könige vorgezerrt,
jagen die Streitwagen daher, die Hängewagen, die Kriegswagen, Schiffe,
ein gefangener Elefant wird hereingeführt und Erbeutetes aus Korinth.

Si foret in terris, rideret Democritus, seu
195 diuersum confusa genus panthera camelo
siue elephans albus uolgi conuerteret ora;
spectaret populum ludis attentius ipsis
ut sibi praebentem nimio spectacula plura;
scriptores autem narrare putaret asello
200 fabellam surdo. Nam quae peruincere uoces
eualuere sonum, referunt quem nostra theatra?
Wenn er noch auf Erden wäre, würde Demokrit lachen, über
die zweifache Art, ein Panther, vermischt mit einem Kamel,
über den weißen Elephant, der die Blicke des Volkes auf sich zieht;
das Volk würde er aufmerksamer als die Spiele selbst betrachten
wie es ihm ein so viel größeres Spektakel gibt;
aber er würde denken, dass die Schriftsteller ihre Geschichte einem
tauben Esel erzählen wollten. Denn welche Stimmen wären stark genug, den Lärm
zu durchdringen, der in unseren Theatern herrscht?

Garganum mugire putes nemus aut mare Tuscum,
tanto cum strepitu ludi spectantur et artes
diuitiaeque peregrinae, quibus oblitus actor
205 cum stetit in scaena, concurrit dextera laeuae.
Dixit adhuc aliquid? Nil sane. Quid placet ergo?
Lana Tarentino uiolas imitata ueneno.
Den Hain des Garganus meinst du brüllen zu hören, oder das tuskische Meer,
mit solch großem Lärm werden die Spiele angeschaut und die Künste
und fremden Reichtümer, und sowie der Schauspieler mit ihnen beladen
auf der Bühne steht, klatschen Rechte und Linke zusammen.
Hat er schon irgendwas gesagt? Hat er nicht. Was gefällt dann?
Die Wolle, die die tarentinische Violettfärbung nachahmt.

Ac ne forte putes me, quae facere ipse recusem,
cum recte tractent alii, laudare maligne,
210 ille per extentum funem mihi posse uidetur
ire poeta meum qui pectus inaniter angit,
inritat, mulcet, falsis terroribus implet,
ut magus, et modo me Thebis, modo ponit Athenis.
Aber glaub nun nicht vielleicht, dass ich, was ich selbst nicht tun möchte,
wenn es andere richtig behandeln, ungern loben würde,
jener scheint mir auf dem aufgespannten Seil tanzen zu können,
der als Dichter meine Brust einengt,
aufregt, besänftigt, mit erfundenem Schrecken füllt,
wie ein Zauberer, und mich bald nach Theben, bald nach Athen versetzt.

Verum age et his, qui se lectori credere malunt
215 quam spectatoris fastidia ferre superbi,
curam redde breuem, si munus Apolline dignum
uis complere libris et uatibus addere calcar,
ut studio maiore petant Helicona uirentem.
Aber auch um jene, die sich lieber dem Leser anvertrauen wollen
als des hochmütigen Zuschauers Ekel zu ertragen,
kümmere dich für einen Moment, wenn du ein Werk, des Apollo würdig,
mit Büchern füllen willst und den Dichtern einen Sporn geben willst,
damit sie mit größerem Eifer den grünen Helicon erstreben.

Multa quidem nobis facimus mala saepe poetae
220 (ut uineta egomet caedam mea), cum tibi librum
sollicito damus aut fesso; cum laedimur, unum
si quis amicorum est ausus reprehendere uersum;
cum loca iam recitata reuoluimus inreuocati;
cum lamentamur non apparere labores
225 nostros et tenui deducta poemata filo;
cum speramus eo rem uenturam ut, simul atque
carmina rescieris non fingere, commodus ultro
arcessas et egere uetes et scribere cogas.
Viele Übel freilich fügen wir Dichter uns oftmals selbst zu
(damit ich meine eigenen Weinstöcke fälle), wenn wir dir ein Buch
geben, wenn du aufgeregt oder müde bist; verletzt sind wir, wenn
einer unserer Freunde es wagt, auch nur einen Vers zu bemängeln;
wenn wir die Stellen, die wir schonmal vorgelesen haben, unaufgefordert nochmal vorlesen;
wenn wir uns beklagen, dass unsere Mühen nicht erkennbar seien
und dass die Gedichte mit feinem Faden gewoben seien;
wenn wir hoffen, dass die Sache dahin kommen möge, dass gleichsam wenn
du erfahren hast, dass wir keine Gedichte schreiben, du verträglich von selbst
nach uns rufst und Mangel verhinderst und uns zum Weiterschreiben drängst.

Sed tamen est operae pretium cognoscere qualis
230 aedituos habeat belli spectata domique
uirtus, indigno non committenda poetae.
Gratus Alexandro regi Magno fuit ille
Choerilos, incultis qui uersibus et male natis
rettulit acceptos, regale nomisma, Philippos.
Aber dennoch ist es der Mühe wert, zu erkennen,
was für Tempelhüter deine Tugend hat, im Krieg und im Frieden
erprobt, die einem unwürdigen Dichter nicht anzuvertrauen ist.
Dem großen König Alexander war jener Cheorilos willkommen,
der mit seinen ungelehrten und missgeborenen Versen
die phillipischen Münzen empfing und mitnahm, das königliche Geld.

235 Sed ueluti tractata notam labemque remittunt
attramenta, fere scriptores carmine foedo
splendida facta linunt. Idem rex ille, poema
qui tam ridiculum tam care prodigus emit,
edicto uetuit nequis se praeter Apellen
240 pingeret aut alius Lysippo duceret aera
fortis Alexandri uoltum simulantia. Quodsi
iudicium subtile uidendis artibus illud
ad libros et ad haec Musarum dona uocares,
Boeotum in crasso iurares aere natum.
Aber wie Tinte, die man berührt hat, Spur und Fleck hinterlässt,
so beschmieren die Schriftsteller mit einem hässlichen Gedicht
herrliche Taten. Jener selbe König, der verschwenderisch ein
so lächerliches Gedicht so teuer kaufte,
durch ein Edikt verboten, dass jemand außer Appelles ihn
malte oder ein anderer als Lysipp Erz so schlage, dass
es den Zügen des tapferen Alexander ähnelte. Wenn auch
dieses Urteil in der bildenden Kunst hocherhaben ist,
würdest du es auf die Bücher und jene Geschenke der Musen beziehen,
so würdest du schwören, er sei als Boötier im dichten Dunst geboren.

245 At neque dedecorant tua de se iudicia atque
munera, quae multa dantis cum laude tulerunt
dilecti tibi Vergilius Variusque poetae,
nec magis expressi uoltus per aenea signa
quam per uatis opus mores animique uirorum
250 clarorum apparent.
Aber weder deine Urteile über sie noch deine Gaben,
die reichlich Lob dem Spender brachten, haben
deine von dir geliebten Dichter Vergil und Varius entweiht,
noch werden ihre Gesichtszüge besser durch eherne Statuen ausgedrückt
als durch der Dichter Werk Charakter und Mut berühmter
Männer hervorscheinen.

Nec sermones ego mallem
repentis per humum quam res componere gestas
terrarumque situs et flumina dicere et arces
montibus impositas et barbara regna tuisque
auspiciis totum confecta duella per orbem,
255 claustraque custodem pacis cohibentia Ianum
et formidatam Parthis te principe Romam,
Und ich möchte auch nicht lieber Predigten,
die über den Boden kriechen, als Tatenberichte schreiben,
die Länder der Erde und die Flüsse besingen und die Burgen,
die auf die Berge gesetzt wurden, und die Barbarenreiche und die
unter deiner Oberaufsicht beigelegten Kriege auf der ganzen Welt,
und die Riegel, die den Janus als Wächter des Friedens bezwingen,
und das von den Parthern – weil du es führst – gefürchtete Rom …

si, quantum cuperem, possem quoque; sed neque paruom
carmen maiestas recipit tua, nec meus audet
rem temptare pudor, quam uires ferre recusent.
260 Sedulitas autem stulte quem diligit urget,
praecipue cum se numeris commendat et arte;
discit enim citius meminitque libentius illud
quod quis deridet quam quod probat et ueneratur.
wenn ich, so viel ich wollen würde, doch auch könnte; aber weder kann deine
Herrlichkeit in einem kleinen Gedicht gefasst werden, noch wagt es meine Schamhaftigkeit,
die Sache zu versuchen, die meine Kräfte sich zu bewältigen weigern.
Beharrlichkeit aber verbrennt dümmlich den, den sie liebt,
besonders, wenn er sich in Versen und Kunst anbiedert;
denn es lernt sich schneller und erinnert sich leichter an das,
was einer verlacht, als was man billigt und verehrt.

Nil moror officium quod me grauat, ac neque ficto
265 in peius uoltu proponi cereus usquam
nec praue factis decorari uersibus opto,
ne rubeam pingui donatus munere et una
cum scriptore meo capsa porrectus operta
deferar in uicum uendentem tus et odores
270 et piper et quicquid chartis amicitur ineptis.
Ich halte mich nicht mit einer Pflicht auf, die mich beschwert, und auch
mit schlecht nacherfundenen Gesichtszügen jemals in Wachs geformt zu werden
und auch in schlechtgesetzten Versen wegen meiner Taten gerühmt zu werden, wünsche ich nicht,
damit ich nicht wegen des ungelenken Geschenks erröten muss und zugleich
mit dem meinem Schreiber, in eine offene Kiste gelegt,
davongetragen werde in das Viertel, in dem man Weihrauch und Düfte verkauft
und Pfeffer und was auch immer sonst in Papierausschüsse gewickelt wird.

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