De coniuratione Catilinae 05 – 10

Sallust schrieb seine Erörterung über die Catilinarische Verschwörung etwa im Jahre 41 v. Chr. und somit etwa zwanzig Jahre nach den Ereignissen. Somit konnte er nicht nur Zeitzeugen befragen; er selbst war Zeuge vieler der Ereignisse gewesen, die er in seinem Geschichtswerk beschreibt. Obwohl Sallusts Geschichtsschreibung zweifellos den Zweck verfolgt, dem Leser gewisse moralische Aspekte zu verdeutlichen, hält man Sallust heute für einen der zuverlässigsten Historiker seiner Zeit. Der ursprüngliche Titel des Werkes ist nicht überliefert; im Allgemeinen hat sich als Titel „De coniuratione Catilinae“ (Über die Verschwörung des Catilina) durchgesetzt, da dieser Titel schlichtweg aus dem Proömium abgeschrieben ist (IV: „Igitur de Catilinae coniuratione (…) absolvam;“ – „Deshalb werde ich über die Verschwörung des Catilina berichten.“). Der zweite, gängige Titel „Bellum Catilinae“ (Der Krieg des Catilina) ist etwas abwegiger, da er nicht im Text belegt ist und somit „frei erfunden“ ist.

Zu diesem Werk gibt es ein Spezialvokabular zur Vorbereitung.

[5] L. Catilina, nobili genere natus, fuit magna vi et animi et corporis, sed ingenio malo pravoque. Huic ab adulescentia bella intestina, caedes, rapinae, discordia civilis grata fuere ibique iuventutem suam exercuit. Corpus patiens inediae, algoris, vigiliae supra quam cuiquam credibile est. Animus audax, subdolus, varius, cuius rei lubet simulator ac dissimulator, alieni adpetens, sui profusus, ardens in cupiditatibus; satis eloquentiae, sapientiae parum. Vastus animus inmoderata, incredibilia, nimis alta semper cupiebat. Hunc post dominationem L. Sullae lubido maxuma invaserat rei publicae capiundae; neque id quibus modis adsequeretur, dum sibi regnum pararet, quicquam pensi habebat. Agitabatur magis magisque in dies animus ferox inopia rei familiaris et conscientia scelerum, quae utraque iis artibus auxerat, quas supra memoravi. Incitabant praeterea corrupti civitatis mores, quos pessuma ac divorsa inter se mala, luxuria atque avaritia, vexabant. Res ipsa hortari videtur, quoniam de moribus civitatis tempus admonuit, supra repetere ac paucis instituta maiorum domi militiaeque, quo modo rem publicam habuerint quantamque reliquerint, ut paulatim inmutata ex pulcherruma atque optuma pessuma ac flagitiosissuma facta sit, disserere. Lucius Catilina, von einem adligen Geschlecht abstammend, war von großer Kraft sowohl des Geistes als auch des Körpers, aber von übler und unredlicher Begabung. Ihm gefielen von Jugend an Bürgerkrieg, Mord, Raub und bürgerliche Zwietracht und mit solchen Dingen verbrachte er seine Jugend. Sein Körper war duldsam gegenüber Hunger, Frost und Schlaflosigkeit – über das hinaus, was irgendwem glaubhaft erschiene. Sein Herz war kühn, listig und wankelmütig, in jeder Hinsicht ein Heuchler und Verleumder, war gierig nach dem Besitz anderer, mit seinem eigenen Besitz verschwenderisch, und brannte vor Begierden; er besaß genügend Beredsamkeit, aber zu wenig Weisheit. Sein wüstes Herz begehrte Unermessliches, Unglaubliches, und immer zu Hohes. Nach der Gewaltherrschaft des Lucius Sulla ergriff ihn eine enorme Begierde nach einem Staatsstreich; und er hatte keinerlei Bedenken darüber, mit welchen Mitteln er dieses Ziel verfolgen sollte, solange es ihm die Herrschaft bringen würde. Sein wilder Geist wurde von Tag zu Tag mehr getrieben durch die Armut seiner Familie und sein Mitwissen an Verbrechen, welche beide an jenen Künsten wuchsen, welche ich schon erwähnte. Außerdem stachelten ihn die verdorbenen Sitten der Bürgerschaft an, welche die schlechtesten und einander entgegengesetzten Übel, Verschwendungssucht und Gier, heimsuchten. Da es ja gerade um die Sitten der Gesellschaft ging, scheint das Thema dazu zu ermahnen, weiter zurückzugreifen und in wenigen Worten die Sitten der Vorfahren – zuhause und im Krieg -, auf welche Weise sie den Staat führten und wie sie ihn uns überließen, und wie er allmählich vom beständigen, sehr schönen und optimalen Staat zum schlechtesten und schimpflichsten gemacht wurde, zu erörtern.
[6] Urbem Romam, sicuti ego accepi, condidere atque habuere initio Troiani, qui Aenea duce profugi sedibus incertis vagabantur, cumque iis Aborigines, genus hominum agreste, sine legibus, sine imperio, liberum atque solutum. Hi postquam in una moenia convenere, dispari genere, dissimili lingua, alii alio more viventes, incredibile memoratu est, quam facile coaluerint: ita brevi multitudo dispersa atque vaga concordia civitas facta erat. Sed postquam res eorum civibus, moribus, agris aucta satis prospera satisque pollens videbatur, sicuti pleraque mortalium habentur, invidia ex opulentia orta est. Igitur reges populique finitumi bello temptare, pauci ex amicis auxilio esse; nam ceteri metu perculsi a periculis aberant. At Romani domi militiaeque intenti festinare, parare, alius alium hortari, hostibus obviam ire, libertatem, patriam parentisque armis tegere. Post, ubi pericula virtute propulerant, sociis atque amicis auxilia portabant magisque dandis quam accipiundis beneficiis amicitias parabant. Imperium legitumum, nomen imperi regium habebant. Delecti, quibus corpus annis infirmum, ingenium sapientia validum erat, rei publicae consultabant; hi vel aetate vel curae similitudine patres appellabantur. Post, ubi regium imperium, quod initio conservandae libertatis atque augendae rei publicae fuerat, in superbiam dominationemque se convortit, inmutato more annua imperia binosque imperatores sibi fecere: eo modo minume posse putabant per licentiam insolescere animum humanum. Die Stadt Rom haben – soweit ich gehört habe – Trojaner gegründet und anfangs bewohnt, die unter der Führung des Aeneas als Flüchtlinge zwischen unsicheren Wohnsitzen umherstreiften, und mit ihnen die Aboriginer, ein bäuerliches Menschenvolk, ohne Gesetze, ohne Befehlsgewalt, frei und ungebunden. Nachdem jene innerhalb einer Stadtmauer zusammenkamen – unterschiedlicher Herkunft, von unähnlicher Sprache, nach verschiedenen Sitten lebend -, ist es unglaublich zu erwähnen, wie leicht sie sich gemeinsam ernährten: so entstand in Kürze aus einer verstreuten und unsteten Menge eine einträchtige Bürgerschaft. Aber nachdem sich ihre Sache hinsichtlich Bürgern, Sitten und Landbesitz vergrößert hatte und sie reich und schlagkräftig genug schien, da entstanden Neid und Reichtum – so wie es sich bei den meisten Angelegenheiten der Menschen verhält. Also begannen die Könige und Völker in der Umgebung, Kriege anzufangen, und nur wenige von den Freunden unterstützten sie; denn die übrigen blieben aus Furcht und von den Gefahren entmutigt fort. Aber die Römer waren zuhause wie im Krieg geschäftige und schnelle Leute, trafen Vorkehrungen, ermahnten einer den anderen, traten den Feinden entgegen und beschützten ihre Freiheit, das Vaterland und ihre Väter mit Waffen. Später, als sie durch Tugend den Gefahren zuvorgekommen waren, brachten sie ihren Verbündeten und Freunden Hilfe und schufen sich eher durch das Geben als durch das Nehmen von Wohltaten Freunde. Sie besaßen eine rechtmäßige Herrschaft und nannten sie die Königsherrschaft. Auserwählte, deren Körper wegen ihres Alters schon zittrig war, die aber Weisheit und Klugheit besaßen, beratschlagten sich für den Staat; jene wurden entweder wegen ihres Alters oder wegen der Ähnlichkeit der Aufgabe „Väter“ genannt. Später, als die Königsherrschaft, welche Anfangs zur Bewahrung der Freiheit und zur Vergrößerung der Staatsmacht dagewesen war, sich in hochmütige Gewaltherrschaft wandelte, schufen sie sich nach unveränderter Sitte jährliche Herrschaften und zwei Imperatoren: auf diese Weise, so glaubten sie, könnte die menschliche Seele am wenigsten durch Zügellosigkeit übermütig werden.
[7] Sed ea tempestate coepere se quisque magis extollere magisque ingenium in promptu habere. Nam regibus boni quam mali suspectiores sunt semperque iis aliena virtus formidulosa est. Sed civitas incredibile memoratu est adepta libertate quantum brevi creverit: tanta cupido gloriae incesserat. Iam primum iuventus, simul ac belli patiens erat, in castris per laborem usum militiae discebat magisque in decoris armis et militaribus equis quam in scortis atque conviviis lubidinem habebant. Igitur talibus viris non labor insolitus, non locus ullus asper aut arduus erat, non armatus hostis formidulosus: virtus omnia domuerat. Sed gloriae maxumum certamen inter ipsos erat: se quisque hostem ferire, murum ascendere, conspici, dum tale facinus faceret, properabat. Eas divitias, eam bonam famam magnamque nobilitatem putabant. Laudis avidi, pecuniae liberales erant, gloriam ingentem, divitias honestas volebant. Memorare possum, quibus in locis maxumas hostium copias populus Romanus parva manu fuderit, quas urbis natura munitas pugnando ceperit, ni ea res longius nos ab incepto traheret. Aber zu ebendieser Zeit begann ein jeder sich selbst umso mehr zu rühmen und zu glauben, die größere Begabung liege in der Offensichtlichkeit. Denn Königen erscheinen die Guten verdächtiger als die Schlechten und jene besitzen immer eine andere, gefährliche Tugend. Aber es erscheint unglaubwürdig, zu erwähnen, um wie viel die Bürgerschaft, ihrer Freiheit beraubt, in kurzer Zeit wuchs: so große Begierde nach Ruhm war eingetreten. Zuerst lernte die Jugend, sobald sie kriegstauglich war, in den Lagern durch Mühen den Kriegsbrauch und sie besaßen ein größeres Interesse an schmuckvollen Waffen und Militärpferden als an Huren und Besäufnissen. Daher war solchen Männern keine Mühe ungewohnt, kein Ort unangenehm oder unbezwingbar, kein bewaffneter Feind fürchtenswert: Tugend zähmte sie alle. Aber zwischen ihnen herrschte ein großer Streit um den Ruhm: ein jeder beeilte sich, selbst den Feind zu durchbohren, die Mauer zu besteigen, undangeschaut zu werden, während er ein solches Verbrechen beging. Sie hielten einen guten Ruf und große Adelswürden für Reichtümer. Sie waren gierig nach Lob und freigebig mit dem Geld; sie wollten enormen Ruhm und ehrenvolle Reichtümer. Ich könnte erwähnen, an welchen Orten das römische Volk mit einer kleinen Kriegerschar die größten Truppenaufgebote der Feinde schlug, welche Städte, befestigt durch ihre natürliche Lage, es durch Kampf einnahm, wenn das uns nicht länger vom eigentlichen Vorhaben abhalten würde.
[8] Sed profecto fortuna in omni re dominatur; ea res cunctas ex lubidine magis quam ex vero celebrat obscuratque. Atheniensium res gestae, sicuti ego aestumo, satis amplae magnificaeque fuere, verum aliquanto minores tamen, quam fama feruntur. Sed quia provenere ibi scriptorum magna ingenia, per terrarum orbem Atheniensium facta pro maxumis celebrantur. Ita eorum, qui fecere, virtus tanta habetur, quantum eam verbis potuere extollere praeclara ingenia. At populo Romano numquam ea copia fuit, quia prudentissumus quisque maxume negotiosus erat: ingenium nemo sine corpore exercebat, optumus quisque facere quam dicere, sua ab aliis benefacta laudari quam ipse aliorum narrare malebat. Aber bekanntlich herrscht das Schicksal in jeder Angelegenheit; dieses Gemeinwesen feierte und verbarg alle Dinge eher wegen ihrer Begierde als aus Wahrheit. Die Taten der Athener waren, soweit ich es abschätzen kann, schon ansehnlich und wunderbar, aber dennoch erheblich kleiner als ihr Ruf. Aber weil dort die großen Köpfe unter den Schreibern hervortraten, werden die Taten der Athener auf der ganzen Welt als die größten gefeiert. So wurde die Tugend derer, die solche Dinge taten, für so groß gehalten, wie sie nur herausragende Genies mit Worten beschreiben könnten. Aber das römische Volk besaß nie eine solche Wortfülle, weil gerade der klügste völlig beschäftigt war: niemand setzte sein Talent ohne den Körper ein, und gerade die Besten wollten lieber handeln als reden, lieber ihre Wohltaten von anderen loben lassen als selbst die der anderen zu erzählen.
[9] Igitur domi militaeque boni mores colebantur; concordia maxuma, minuma avaritia erat; ius bonumque apud eos non legibus magis quam natura valebat. Iurgia, discordias, simultates cum hostibus exercebant, cives cum civibus de virtute certabant. In suppliciis deorum magnifici, domi parci, in amicos fideles erant. Duabus his artibus, audacia in bello, ubi pax evenerat, aequitate, seque remque publicam curabant. Quarum rerum ego maxuma documenta haec habeo, quod in bello saepius vindicatum est in eos, qui contra imperium in hostem pugnaverant quique tardius revocati proelio excesserant, quam qui signa relinquere aut pulsi loco cedere ausi erant; in pace vero, quod beneficiis magis quam metu imperium agitabant et accepta iniuria ignoscere quam persequi malebant. So wurden die guten Sitten zuhause und beim Militär gepflegt; es bestand größte Einigkeit und gab kaum Gier; bei ihnen galt Recht und Gut durch Gesetze nicht mehr als durch die Natur. Streitigkeiten, Zweitrachten und Feindschaften trugen sie mit ihren Feinden aus, Bürger stritten mit Bürgern um die Tugend. Bei der Verehrung der Götter waren sie wohltätig, zuhause sparsam, gegenüber Freunden treu. Mit diesen beiden Künsten, Kühnheit im Krieg, und – sobald Friede eingekehrt war – Ausgeglichenheit, kümmerten sie sich um sich selbst und den Staat. Für diese Dinge habe ich diese als die größten Beweise, dass im Krieg öfter gegen jene geurteilt wurde, die gegen einen Befehl gegen den Feind kämpften und die eher langsam den Kampf verließen, wenn sie zurückgerufen worden waren, als jene, die ihre Feldzeichen zurückließen oder es geschlagen wagten, den Ort zu verlassen; dass im Frieden aber sie ihre Herrschaft eher durch Wohltaten als durch Angst durchsetzten und erfahrenes Unrecht lieber verzeihen als verfolgen wollten.
[10] Sed ubi labore atque iustitia res publica crevit, reges magni bello domiti, nationes ferae et populi ingentes vi subacti, Carthago, aemula imperi Romani, ab stirpe interiit, cuncta maria terraeque patebant, saevire fortuna ac miscere omnia coepit. Qui labores, pericula, dubias atque asperas res facile toleraverant, iis otium divitiaeque optanda alias, oneri miseriaeque fuere. Igitur primo imperi, deinde pecuniae cupido crevit: ea quasi materies omnium malorum fuere. Namque avaritia fidem, probitatem ceterasque artis bonas subvortit; pro his superbiam, crudelitatem, deos neglegere, omnia venalia habere edocuit. Ambitio multos mortalis falsos fieri subegit, aliud clausum in pectore, aliud in lingua promptum habere, amicitias inimicitiasque non ex re, sed ex commodo aestumare magisque voltum quam ingenium bonum habere. Haec primo paulatim crescere, interdum vindicari; post, ubi contagio quasi pestilentia invasit, civitas inmutata, imperium ex iustissumo atque optumo crudele intolerandumque factum. Aber als der Staat durch Mühe und Gerechtigkeit gewachsen war, die großen Könige im Krieg gezähmt waren, wilde Stämme und große Völker durch Gewalt unterworfen waren, Carthago – der Erzfeind des römischen Reichs – mit Mann und Maus untergegangen war, als alle Meere und Länder ihnen offenstanden, da begann das Schicksal zu wüten und alles zu verwirren. Denjenigen, die Mühen, Gefahren, zweifelhafte und mühselige Dinge mit Leichtigkeit ertragen hatten, denen waren Muße und Reichtümer, die sie zu einer anderen Zeit erstrebenswert fanden, nun eine Last und eine Beschwerlichkeit. Also wuchs zunächst die Gier nach Herrschaft und dann die nach Geld: jene Dinge waren gewissermaßen die Grundstoffe aller Übel. Denn die Gier untergrub die Treue, die Tüchtigkeit und die übrigen guten Künste; dafür lehrte sie Hochmut, Grausamkeit, Götterverachtung und Käuflichkeit. Ehrgeiz brachte viele Menschen dazu, falsch zu werden, das eine im Herz verschlossen zu halten und das andere auf der Zunge zu führen, Freundschaften und Feindschaften nicht um der Sache selbst, sondern wegen ihres Vorteils zu schätzen und lieber eine wohlgesonnene Miene als einen wohlgesonnenen Willen zu besitzen. Dies wuchs zunächst allmählich, wurde von Zeit zu Zeit auch bestraft; später aber, als dieser Einfluss wie eine Seuche einbrach, wurde die Bürgerschaft schlecht, und es entstand aus einer höchst gerechten und hervorragenden Herrschaft eine grausame und unerträgliche.